In Europa entsteht Gemeinsamkeit nur durch einen offenen Dialog

Dr. Angelika Eder und Dr. Martin Koopmann, geschäftsführende Vorstandsmitglieder der Stiftung Genshagen, berichten im Interview, wie sie die Vergangenheit und die Zukunft der Stiftung sehen.
06.02.2018
  • Foto: © Stiftung Genshagen | Charlotte Müller

Mit 25 Jahren gilt man als erwachsen. Hat die Stiftung Genshagen eine bewegte Jugend hinter sich?

Wie Europa auch ist die Stiftung, damals noch als Verein, 1993 mit Enthusiasmus aufgebrochen in eine vielversprechende Zukunft: Sie war von Beginn an ein Ort des kreativen Nachdenkens darüber, wie die über Jahrzehnte getrennten Länder und Gesellschaften West- und Osteuropas Europa zu ihrem gemeinsamen Zukunftsprojekt machen können. Heute stellen wir fest, dass Gemeinsamkeit immer wieder neu erarbeitet werden muss. In diesem Zusammenhang ist die vor einigen Jahren getroffene Entscheidung Polens, sich neben Deutschland und Frankreich dauerhaft in Genshagen zu engagieren, eine der wichtigsten Wegmarken in der Geschichte der Stiftung gewesen. Der Dialog zwischen Deutschen, Franzosen und Polen ist damit noch stärker in Genshagen verankert worden - und öffnet Türen, zu denen sonst häufig die Schlüssel fehlen.

Wo sehen Sie die Stiftung in 25 Jahren?

Genshagen wird als Ort des entschleunigten Austauschs, als Stätte der europäischen Begegnungen und als geschützter Raum für offenen Dialog eine noch größere Bedeutung haben als heute, wird sich bis dahin doch ein noch größerer Teil unseres Alltags, Lebens, Denkens und Arbeitens im digitalen Raum abspielen. Hier, im Schloss und im Park, findet reales Miteinander statt, hier werden von Angesicht zu Angesicht Themen diskutiert, hier kann man Kunst aller Art mit allen Sinnen erleben. Die Bedeutung solcher realen Orte, solcher Inseln zum Nachdenken, Reden, Sehen und Hören wird zunehmen bis 2043. Wo das Weimarer Dreieck und Europa bis dahin stehen? Wir werden weiter zu Diskussionen darüber einladen - und Antworten auf diese Frage entwerfen.

An welches Erlebnis in Genshagen erinnern Sie sich besonders gerne zurück?

Martin Koopmann: Highlights und besondere Momente habe ich einige in Genshagen erlebt. In Erinnerung geblieben ist mir das Klavierkonzert der griechischen Pianistin Lefki Karpodini, die im Rahmen eines deutsch-französisch-polnischen Jugendprojekts bei uns auftrat und auf dem Flügel im Treppenhaus spielte. Nach den kontroversen Diskussionen der vorangegangenen Konferenz ließen sich alle Teilnehmer im Treppenhaus nieder und lauschten bei Kerzenschein der Musik. Schließlich bat die Pianistin um Musikwünsche, und es entstand eine bunte musikalische Abfolge von Stücken verschiedenster europäischer Komponisten. Einheit in Vielfalt, selten war dieses Motto für mich so greifbar wie an diesem Abend.

Angelika Eder: Da ich erst seit November 2017 im Vorstand der Stiftung Genshagen bin, ist die Sammlung an besonderen Begegnungen und Erlebnissen in der Stiftung noch überschaubar (wächst aber stetig). Und gleich die erste Veranstaltung am 3. November zeigte mir, wie angenehm, klug, offen und ungestört man sich hier fernab des Großstadtgetöses (und doch ganz leicht aus der Großstadt zu erreichen) austauschen kann. Die Sitzung der deutsch-französischen Jury des Franz-Hessel-Preises war für mich ein wunderbarer Einstieg in die Herausforderungen und die Möglichkeiten der Arbeit für die Stiftung Genshagen.