Genshagener Papier N° 2

Deutschland und Frankreich in der entstehenden Weltgesellschaft

März 2010
Autor: Gilbert Ziebura

Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich wird der Wunsch nach einem Neubeginn in den deutsch-französischen Beziehungen immer stärker artikuliert. Während im Zuge der Globalisierung die Entwicklung einer entgrenzten Weltökonomie Hand in Hand geht mit zunehmender sozialer und regionaler Fraktionierung, sind die deutsch-französischen Beziehungen in anachronistischer Weise weiterhin geprägt von einer aus der Zeit der bilateralen Versöhnung stammenden Infrastruktur. Trotz positiver Entwicklungen seit dem Abschluss des Elysée-Vertrags ist das Verhältnis beider Länder immer noch von nationalstaatlichem Denken dominiert. Seit der Gründung der Europäischen Union im Jahr 1992 hat es keine deutsch-französische Initiative mehr in wichtigen Fragen der Europa- und Weltpolitik gegeben. Der deutsch-französische Motor ist in seinem gegenwärtigen Zustand nicht zukunftsfähig.

Deutschland und Frankreich müssen ihrer Zusammenarbeit eine neue Zielsetzung geben, die den veränderten Aufgaben des Nationalstaats im 21. Jahrhundert Rechnung trägt: Es geht sowohl darum, die Gesellschaften für die Herausforderungen der Globalisierung fit zu machen, als auch darum, deren negative Rückwirkungen zu minimieren. Allerdings sind die Chancen, dass Deutschland und Frankreich gemeinsame Antworten auf die Globalisierung finden, angesichts historisch bedingter, unterschiedlicher Ausgangsbedingungen gering.

Hierbei handelt es sich jedoch nicht nur um eine deutsch-französische, sondern um eine europäische Notwendigkeit. Um in der entstehenden multipolaren Weltgesellschaft bestehen zu können, braucht die Europäische Union ein einheitliches, von Frankreich und Deutschland gemeinsam getragenes strategisches Konzept, das vom Grundsatz der „geteilten Souveränität“ ausgeht, alle vorhandenen Ressourcen bündelt und die EU zu einem gleichwertigen Akteur gegenüber aktuellen und künftigen Weltmächten wie den USA, China und Indien macht. In der neuen, großen und heterogenen EU wird dies nicht mehr mit der „Méthode Monnet“, sondern nur über eine verstärkte intergouvernementale Zusammenarbeit zu erreichen sein.