Wege zur Stärkung des politischen Europa

Januar 2014

Seit Frankreich und die Niederlande 2005 den Europäischen Verfassungsvertrag abgelehnt haben, scheint die Debatte über das politische Europa festgefahren zu sein. Politische Entscheidungsträger befürchten, dass bedeutende Veränderungsvorschläge zu einer erneuten und für den europäischen Integrationsprozess fatalen Ablehnung durch die Bürger führen werden.

Die zaghafte öffentliche Debatte spiegelt allerdings nicht die Entwicklungen wider, die die Europäische Union seit 2005 durchlaufen hat. Denn die US-Finanzkrise und vor allem die Staatsschuldenkrise haben zu schnellen Veränderungen der wirtschaftspolitischen Steuerung in der Eurozone geführt.

Diese Veränderungen gingen allerdings weder mit Neuerungen in der politischen Gestaltung der EU einher noch wurden sie in der Öffentlichkeit diskutiert. So haben sich angesichts der fehlenden demokratischen Legitimität der Institutionen Ängste entwickelt, die u.a. in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Ausdruck finden, das wiederholt die unzureichende demokratische Kontrolle der europäischen Institutionen kritisierte.

Um dieser Problematik zu begegnen und Lösungen zu finden, scheint es naheliegend, den Fokus wieder verstärkt auf die institutionelle Organisation der Europäischen Union zu richten: z.B. auf die Schaffung eines Hohen Vertreters der Eurozone, der die Funktionen des Wirtschaftskommissars und des Präsidenten der Eurogruppe vereinen würde; oder auf die Einrichtung eines parlamentarischen Ausschusses nur für die Länder der Eurozone oder die Zusammenführung der Posten des Präsidenten des Europäischen Rates und der Kommission, usw.

Seit Maastricht haben sich die europäischen Debatten zu sehr auf institutionelle Fragen konzentriert und dabei zu Unverständnis und Ablehnung bei den Bürgern geführt. Bevor eine neue Reform der Institutionen in Betracht gezogen wird, scheint es somit dringend geboten, ein Europa der Politik (policies) und nicht der Politiker zu schaffen, ein Europa, das auf die Erwartungen seiner Bürger eingeht und es der EU ermöglicht, ihre Effektivität und ihren Mehrwert im Vergleich zu nationalen oder lokalen Strukturen unter Beweis zu stellen. Mit der Entwicklung einer solchen neuen europäischen Politik würde das politische Europa endlich in die öffentliche Debatte zurückkehren.

Die vorliegende Version ist die deutsche Übersetzung des im Januar 2014 vom Institut Montaigne veröffentlichten Papiers „Comment renforcer l’Europe politique“.

Autoren: Nicolas Baverez, Rainier d’Haussonville, Martin Koopmann, Christian Lequesne, Jean-Pierre Mignard, Jean-Paul Tran Thiet. Das Papier wurde von Jérôme Brouillet, berichterstattendes Mitglied des französischen Rechnungshofs, redaktionell betreut.

Herausgeber: Institut Montaigne. Die deutsche Übersetzung erscheint im Rahmen des  V. Genshagener Forums für deutsch-französischen Dialog zum Thema „Europa unter Zugzwang: Krise(n) der Gegenwart, Herausforderung der Zukunft“  (20. und 21. November 2014, Schloss Genshagen).